Lesetipp: Ersticktes Matt

Selten habe ich solche Schwierigkeiten gehabt, einen Einleitungssatz für eine Rezension zu schreiben. Klar könnte ich damit einsteigen, dass ich gestehe, Nina über Twitter zu kennen, und dass wir beide Mitglied der BartBroAuthors sind. Genauso gut könnte ich darüber einsteigen, dass dieses Buch geeignet ist, sämtliche Vorurteile gegenüber Selfpublishern ein für alle Mal zu widerlegen.

Aber das wäre ziemlich blöd, denn das würde nur von der Hauptsache ablenken, nämlich dass Ersticktes Matt ein tolles Buch ist.

Kein Schachbuch ist, auch wenn der Titel und der Umschlag es vielleicht suggerieren. Jedenfalls hat Sohn 2 es sofort als Schachbuch identifiziert und völlig entgeistert gefragt, seit wann ich denn so was lese und mein Mann hat unverzüglich die Definition nachgereicht. Trotzdem halte ich es für ausgeschlossen, dass derartige Verwechslungen häufiger auftreten. Dieser Haushalt verfügt nur zufällig über mehrere Schachspiele und regalmeterweise Schachliteratur.
Aber ich schweife ab. Schließlich wollte ich keine Familienanekdoten zum Besten geben.

Ersticktes Matt ist ein Krimi. Er spielt 1893 in New York – allerdings in einer anderen Realität, in der es keine Elektrizität gibt, sondern Dampfenergie den einzigen Antrieb darstellt. Sie treibt die phantastischsten Maschinen an – aber die Menschheit zahlt auch einen hohen Preis für den daraus resultierenden Energiehunger: eine drastische Klimaveränderung, die den Meeresspiegel weltweit ansteigen ließ und Millionen von Menschen zu Flüchtlingen machte. Etliche kamen in die USA, doch die meisten von ihnen blieben in den Floodlands hängen, einem auf Pfählen gebauten Armutsviertel mitten im East River.
Verbrechen, wie Raub und Vergewaltigung gehören hier schon beinahe zum Alltag, aber seit einiger Zeit geht zudem ein Mörder um. Seine Opfer sind Frauen, die er mit einem seidenen Tuch erdrosselt. Und an jedem Tatort lässt er eine Schachfigur zurück.
Für Remy Lafayette, Gesichtsanalytiker und Berater beim New York Floodlands Police Department, wird die Jagd zu einer Reise in die eigene Vergangenheit, als seine ehemalige Verlobte in den Sog der Ereignisse gerät.

Stilistisch ist Floodlands eher Who-dunnit als Thriller. Nina Hasse verzichtet auf reißerische Szenen und exzessive Gewaltdarstellungen, obwohl es einige sehr actionreiche Momente gibt. Inklusive einem sehr spannenden Showdown.

Aber was diesen Krimi so großartig macht, ist nicht die Action. Es ist auch nicht nur die bis ins Detail liebevoll ausgearbeitete Welt, bei der Nina Hasse ebenfalls auf jede Effekthascherei verzichtet. Ihre Beschreibungen sind beinahe beiläufig und vermitteln dadurch, dass sich die Figuren so selbstverständlich durch diese Welt bewegen, dass sie echt ist.
Ich habe mich beim Setting ein bisschen an die Flüsse von London erinnert gefühlt. Nur dass es bei Nina Hasse keine Geister gibt. Und selbstverständlich hat der East River bei ihr auch nicht mehr Eigenleben, als jeder normale Fluss.
Dafür sind die menschlichen Charaktere bei Floodlands interessanter. Was Nina Hasse da aufbietet, lässt sich vielleicht noch mit Jasper Fforde vergleichen. Vielleicht hätte auch Dickens solche Menschen erschaffen, wenn er heute noch leben und Steampunk-Krimis schreiben würde. Einen kleinen Überblick über die Hauptcharaktere gibt es hier. Aber aus den knappen Angaben lässt sich allenfalls erahnen, wie die Figuren handeln und interagieren. Mit ihnen habe ich großartige komische und herzzerreißend traurige Momente erlebt, habe Tränen gelacht und aus verschiedenen Gründen geheult.
Wie sie habe ich versucht, zu erraten, wer hinter den Morden steckt und bin ein kleines bisschen stolz, etwas eher als sie auf eine der Symboliken gekommen zu sein, wobei ich auch gestehen muss, die falsche Person in Verdacht gehabt zu haben. Dabei war die Lösung des Falls vollkommen einleuchtend.

Ich könnte jetzt noch etwas über Perspektiven und Sprache erzählen, aber wozu? Ich glaube, das Wesentliche ist rübergekommen.

Ich habe die Charaktere lieb gewonnen habe (jedenfalls die meisten) hoffe sehr auf ein Wiedersehen und neue Abenteuer. Bis dahin werde ich das Buch, in dem ich mich trotz aller Kälte sehr zuhause gefühlt habe, sicher noch ein paar Mal lesen und allen mit der Forderung auf die Nerven gehen, dass sie es unbedingt auch lesen müssen.


Nina Hasse, Ersticktes Matt, Kindle ebook

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