Opfer

Bin ich eine politische Schriftstellerin?

Auf Twitter äußere ich mich recht oft zu politischen Themen. Ich habe eine Meinung und die kann auch jeder kennen. Natürlich schlägt das auch auf meine Krimis durch. Trotzdem würde ich mich nie als politische Schriftstellerin bezeichnen. Mein Ziel ist, Bücher zu Schreiben, die Spaß machen. Nicht, eine Meinung zu verbreiten – egal, wessen.

Ganz im Gegenteil: Bücher, die ganz offensichtlich dazu geschrieben sind, eine bestimmte Weltsicht zu propagieren, finde ich grauenhaft. Es gab mal so einen Trend im Krimibereich. Frauenkrimis, bei denen alle Männer Schweine und alle Frauen entweder Feministinnen (gut) oder arme Opfer waren. Die besten Feministinnen waren Lesben.
Literaturgeschichtlich waren diese Krimis bahnbrechend. Sie brachen mit dem Klischee dass Detektivarbeit Männersache sei. Sie brachen mit dem Klischee, dass Frauen in politischen Romanen keine aktive – und schon gar keine positive Rolle zu spielen hatten. Und sie behandelten Lesben nicht mehr als Frauen, die nur nicht den richtigen Mann gefunden hatten.
Trotzdem waren sie grauenhaft.

Solche Bücher will ich nicht schreiben, auch wenn ich oben gesagt habe, dass meine Meinung natürlich auf meine Krimis durchschlägt. Aber damit meine ich nicht, dass ich meinen Lesern vorschreibe, wie sie zu denken haben. Die Meinungen meiner Protagonisten entsprechen auch nicht unbedingt meiner eigenen. Teilweise laufen sie ihr sogar diametral entgegen und das ist auch gut so.
Wenn ich sage, dass meine Meinung natürlich auf meine Krimis durchschlägt, meine ich die Wahl des Stoffs, also des zugrundeliegenden Themas. Meine Krimis haben neben dem Mord, der aufgeklärt werden muss, immer auch ein Thema. Bei „Bodenfund“ den ich gerade überarbeite, ist das Antikenhehlerei. Und auch wenn ich natürlich eine Meinung dazu habe, versuche ich, das Thema von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, ohne die Meinung des Lesers in die eine oder andere Richtung zu lenken. Schließlich will ich in erster Linie meine Leser unterhalten, indem ich eine spannende Geschichte erzähle.

 

Krimi und Kriminalität

Man sollte meinen, das Leben liefere reichlich Stoff für Kriminalromane und natürlich verfolge ich die Nachrichten über Verbrechen, Intrigen in der Politik, Wirtschaftsmauscheleien und so weiter. Aber als direkte Vorlage taugt das alles wenig. Warum möchte ich an einer frisch aus meiner Twitter Timeline gefischten Pressemitteilung der Frankfurter Polizei demonstrieren:

Frankfurt (ots) – (we) Ein seit längerer Zeit schwelender Streit zwischen zwei Männern, ist am Dienstagabend in der Wiener Straße eskaliert und löste einen größeren Polizeieinsatz aus.

Die Männer im Alter von 49 und 34 Jahren lebten bis vor zwei Wochen in einem Mitverhältnis zusammen in einer Wohnung, bis der 49-jährige Hauptmieter dem 34-Jährigen aufgrund seines Zahlungsrückstandes fristlos kündigte.

Offenbar wollte der 34-Jährige dies nicht akzeptieren und hielt sich am Dienstagabend gegen 23.40 Uhr erneut in der Wohnung auf. Daraufhin versuchte der 49-Jährige ihn aus der Wohnung zu jagen und schwang dabei ein Küchenbeil.

Der unverletzte 34-Jährige rannte aus der Wohnung und verständigte die Polizei. Die Beamten rückten mit mehreren Streifenwagen an. Der 49-Jährige öffnete freiwillig die Tür und stellte sich. Das Küchenbeil wurde sichergestellt. Er wird sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung verantworten müssen.

Rückfragen bitte an:
Polizeipräsidium Frankfurt am Main
P r e s s e s t e l l e

Das ist doch was, oder? Hier tobt das pralle Leben, da geht es zur Sache – und bei richtiger Anwendung des Hackebeils hätte es sogar eine Leiche geben können. So erzählt, ist dieser Vorfall trotzdem nicht mehr, als eine Anekdote. Ganz witzig, aber vollkommen unspannend im Sinne eines Krimis.
Wenn man daraus einen anständigen Krimi machen wollte, müsste man die Geschichte genau andersrum erzählen: Die Polizei findet eine Leiche. Der Tote weist Verletzungen auf, die auf den Einsatz eines Hackebeils hindeuten.
Damit lässt sich arbeiten. Der nächste Schritt ist, eine Reihe Fragen aufzuwerfen (und falsche Spuren zu legen): Warum musste dieser Mann sterben? Geht ein wahnsinniger Axtmörder um? Handelt es sich um einen Ritualmord? War es ein Verbrechen aus Leidenschaft? Hach, Drama! Konflikte zuhauf, das ist gut.
Aber dann: Der geniale Kommissar hat nach die falschen Spuren als Sackgassen identifiziert und entdeckt – einen Mietstreit als Ursache?!
Also wirklich! Spätestens in diesem Moment schmeißt der jetzt gar nicht mehr geneigte Leser das Buch in die Ecke und verflucht den Autor, der solche hahnebüchenen, völlig an den Haaren herbeigezogenen Fälle konstruiert.

Ein Krimi muss nicht wahr sein, sondern eine plausible Lösung bieten. Dazu gehört auch, dass das Motiv der Größe des Verbrechens angemessen sein sollte. Nur hält sich die Realität selten daran und genau aus diesem Grund sollte man sie nur in wohldosierten Mengen einbringen.

Ausgelesen: Killmousky und Havarie

Beide Bücher haben eins gemeinsam: Sie laufen unter der Bezeichnung Krimi. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch auf.

Killmousky von Sibylle Lewitscharoff ist ein klassischer Krimi mit Hard-Boiled-Anklängen. Es gibt den einsamen Wolf, einen Kommissar, seines Zeichens Verhörspezialist und vorzeitig entlassen, weil er einen Verdächtigen zu hart rangenommen hat. Die Parallelen zum Fall Gäfgen sind unübersehbar, werden aber noch gesteigert, weil der Kommissar nichts weniger will, als gleich zwei hübschen, jungen Mädchen das Leben zu retten – dabei aber scheitert. Das findet er tragisch (die Entlassung weniger, die sieht er ein), zumal er nicht recht weiß, was er danach mit seinem Leben anfangen soll. „Frauen? Zigaretten? Whiskey? Den lieben langen Tag?“ Die Entscheidung fällt schwer, zumal Whiskey eigentlich nicht sein Fall ist. Daher trifft er sich mit seiner Verflossenen, lässt die Wohnung ein bisschen verwahrlosen – aber bevor alles zu schlimm wird, winkt seine Vermieterin überraschend mit einem lukrativen Angebot. Ausgerechnet in New York, dabei spricht der Kommissar Englisch ungefähr genauso gut, wie der Ex-Bundespräsident Heinrich Lübke, Gott hab ihn selig.
Dem Auftraggeber, einem reichen Tycoon und dessen schöner Tochter ist das aber egal und so ermittelt der Kommissar mal auf Long Island und mal in der Gegend von München, wo er sich besser auskennt. Das Ende soll natürlich nicht vorweg genommen werden. Angesichts der wenigen Verdächtigen ist es aber wenig überraschend.
Das ist auch mein Hauptkritikpunkt: Für einen Krimi ist dieses Buch zu geradlinig und für hard-boiled ist es zu harmlos (oder, um es auf bayerisch zu sagen: zu liab). Der Kommissar hatte eine schwere Kindheit, aber das ist Geschichte und belastet ihn kaum. Es gibt keine Abgründe. Alle sind nett und höflich, bis auf den Mörder, versteht sich. Die Handlung dümpelt freundlich vor sich hin. Zwischendurch wird gut gegessen. Die Welt ist ein Winterwunderland. Dazu kommt eine sehr ziselierte Sprache, die durchaus hübsche Formulierungen enthält, aber überhaupt nicht zu dem angeblich aus einfachsten Verhältnissen stammenden Protagonisten passt.
Letztlich hat mich die Bitte meiner Tante am Ball gehalten, ich müsse ihr unbedingt und bitte ganz ehrlich sagen, was ich von dem Buch halte, sie habe es von einer Bekannten empfohlen bekommen, die literarisch sehr beschlagen sei und sonst nie Krimis lese. Na ja. Menschen, denen es allein auf eine schöne Sprache ankommt, wird dieses Buch sicher zusagen.

Havarie von Merle Kröger ist in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil. Vor allem ist es kein klassischer Krimi. Es gibt weder einen Kommissar, noch einen Mörder im herkömmlichen Sinn. Es gibt nicht einmal einen klaren Protagonisten.
Havarie erzählt vom zufälligen Zusammentreffen dreier Schiffe: einem Luxusliner, einem Containerfrachter und einem, mit 12 Flüchtlingen besetzten Schlauchboot in Seenot. Die Dramen, die sich dabei abspielen, werden in schnellen Sequenzen aus der Sicht von 11 Personen beleuchtet, die zum Teil auf den Schiffen, zum Teil aber auch an Land unterwegs sind. Dabei trägt jede der handelnden Figuren ihre eigenen Abgründe in sich. Niemand ist unversehrt. Trotzdem kommt es neben Tragödien auch zu Akten großer Menschlichkeit. Dabei wird nichts überhöht, nichts ausgeschmückt oder dramatisiert. Der Ausdruck wechselt gerade genug, um die einzelnen Figuren auch durch ihre Erzählweise kenntlich zu machen. Die Sprache bleibt aber im einen, wie im anderen Fall nüchtern, klar, präzise.
Ein Anhang mit Photos verleiht dem Inhalt zusätzliche Tiefe.
Keine einfache Kost. Aber ein großartiges Buch.

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Killmousky von Sibylle Lewitscharoff, erschienen 2014 bei Suhrkamp

Havarie von Merle Kröger, erschienen 2015 als Ariadne Kriminalroman im Argument Verlag